Rezension # 35

Ibrahim Diabate – Yen Fehi, Bako – Là-bas de l’autre côté de la rive, Canti di lotta e d’amore

Libereria, 3. Auflage 2022 (französisch und italienisch)

Ein paar Worte zu diesem Buch, nicht direkt eine Rezension. Eher ein Hintergrund zu den Zeilen und der Person, die es geschrieben hat.

„Gewalt gegen afrikanische Einwander:innen“

Nach mehrtägigen heftigen Unruhen in der süditaliensichen Kleinstadt Rosarno mussten tausende afrikanische Saisonarbeiter:innen in Sicherheit gebracht werden. Viele flohen aus Furcht vor neuen Ausschreitungen.

(…) Rund 4000 Einwander:innen aus überwiegend afrikanischen Ländern helfen in Rosarno oftmals illegal bei der Obst- und Gemüseernte. Sie wohnen in Zeltstädten und in einem alten, leerstehenden Fabrikgebäude vor der Stadt. Dort gibt es weder Matratzen, fließend Wasser, Strom oder eine Heizung – nur acht Chemietoiletten und drei Duschen stehen tausend Menschen zur Verfügung. Doch weil sich die meisten illegal im Land aufhalten, akzeptieren sie nicht nur diese unmenschlichen Lebensbedingungen, sondern auch den Hungerlohn, den sie für ihre Arbeit erhalten.

20 Euro verdient ein:e illegale:r Saisonarbeiter:in durchschnittlich pro Tag. Manchmal ist es aber auch weniger. „Mit 15 bis 20 Euro pro Tag haben wir diese Menschen zu modernen Sklaven gemacht – eine hässliche Seite im Geschichtsbuch Italiens“, sagt ein Lokalpolitiker bestürzt. Und in der Regel behalte die örtliche Mafia von diesem Hungerlohn auch noch 5 Euro „Aufenthaltssteuer“. Menschenrechtsorganisationen sprechen von Ausbeutung durch organisierte Verbrecherbanden.“

So stand es geschrieben im Januar 2010, als die Lage der Ernte- Arbeiter:innen in Kalabrien völlig aus dem Ruder lief. Aus diesen Revolten ist SOS Rosarno entstanden. In ihren eigenen Worten:
„Herzlich willkommen, Leute! Das Fest, das wieder beginnt, ist das, welches in den Zitrus- und Olivenhainen der Ebene von Gioia Tauro stattfindet, wo hartnäckige Bauern und Bäuerinnen und hoffnungsvolle Migrant*innen gemeinsam eine neue Zukunft für unser Land kultivieren… ein Fest, das in unseren Regionen und in den verschiedenen Teilen Italiens gefeiert wird, wo auch in diesem Jahr die Kalafrikaner*innen umhergehen werden, um zu diskutieren und zu argumentieren, um zu erzählen, wie in Rosarno und seiner Umgebung eine neue Welt entsteht, und um diese gemeinsam zu feiern.

Eine „neue bäuerliche Zivilisation“ nannten wir dieses Projekt manchmal, und wir meinten dies einschliesslich aller Bereiche der Gesellschaft. Mit Ausnahme der dominanten (also, die wirtschaftlich, sozial, politisch … menschlich dominieren), denn ohne Herrschaft ist die neue Gesellschaft, die wir aufbauen; denn eine auf dem Boden der Erde gegründete Gesellschaft bestimmt wirtschaftlich und symbolisch die Art und Weise, in der die menschliche Tätigkeit in allen anderen Bereichen gedacht und ausgeführt wird: ob es sich um Dienstleistungen oder Technologien handelt, ob es sich um Freizeit oder um die kulturelle Aktivität selbst handelt, in der die Werte, die das Verhalten bestimmen, zum Ausdruck kommen… alles ist auf den Respekt vor der Erde und das harmonische Zusammenleben derer, die auf ihr leben, ausgerichtet.
Hier ist unser Projekt. Das ist unsere Aufgabe. Das ist unser Vorschlag.:

Alle Produzent*innen sind Kleinbäuerinnen und -bauern, Einzelpersonen oder Mitglieder von Genossenschaften. Sie stellen die bei der Ernte beschäftigten Arbeiter*innen dauerhaft ein, von denen mehr als 50% Immigrant*innen sind. Und sie sind Teil des circuito della solidarietà con gli africani di Rosarno (Solidaritätskreis mit den Afrikaner*innen von Rosarno), wegen der komplett versagenden staatlichen Einwanderungspolitik nur dank der Unterstützung durch zivilgesellschaftliche Organisationen die grundlegendsten Bedürfnisse befriedigen können.
Deshalb wird ein Teil des Preises aller Produkte zur Finanzierung von Projekten verwendet, die für die Rechte der Landarbeiter*innen einstehen und für alternative Projekte in Italien und im Ausland, welche die Ernährungssouveränität und Selbstbestimmung lokaler Gemeinschaften fördern.“

Und ein solches gefördertes Projekt ist zum Beispiel die „Hospitality School“- eine (Italienisch)- Schule für die Menschen, die in der Ernte arbeiten. Und das „Casa della Dignitá“- hier kommt Ibrahim, der Autor dieses Buches, ins Spiel.

Ich kann nicht sagen, wie lange er schon dabei ist, bei SOS Rosarno. Aber er ist mit grosser Energie dabei. Sein neuestes Projekt ist eben das „Casa della Dignitá“- mit gesammelten Geldern wurde ein Haus gekauft, in dem nach und nach die Wohnungen saniert und eingerichtet wurden und das nun endlich den Menschen, die in der Ernte arbeiten, als Wohnraum zur Verfügung gestellt wird. Zur Hauptsaison im Winter (Zitrussaison) sollen dort die Ernte- Arbeiter:innen leben können. Wenn sie im Anschluss weiterreisen, kann das Haus für solidarischen Tourismus genutzt werden, um es zu finanzieren und vielleicht weitere Häuser zu erkämpfen.
Dies ist das Werk von Ibrahim, der mit viel Herzblut für eine bessere Zukunft kämpft.

„Gedichte von Kampf und Liebe“ ist der Untertitel des Buches. Diese sind sowohl auf französisch, Ibrahims erster Sprache, als auch auf italienisch im Buch. Geschenkt hat Ibrahim das Buch allen Menschen aus Luzern, die bei SolRosa mit dabei sind.
SolRosa ist ein Verein, der sich in der Schweiz gegründet hat, um SOS Rosarno zu unterstützen und Bestellungen von deren Produkten zu organisieren. Mit der letzten Bestellung ist dieses Buch geliefert worden.

Und wo ist ein Buch, das vielen geschenkt wurde, besser aufgehoben als in einer Bibliothek? Deshalb steht es nun in der Lotte und freut sich darauf, ausgeliehen und gelesen zu werden. Viel Spass dabei!