Rezension Nr. 21

Patricia Purtschert
Kolonialität und Geschlecht im 20. Jahrhundert, Eine Geschichte der weissen Schweiz

transcript – 2019 – ISBN 978-3-8376-4410-4

Wie lässt sich über dieses Werk eine Rezension schreiben? Traue ich es mir zu, eine Meinung über ein so dichtes Buch zu schreiben, das die Habilitation von Patricia Purtschert darstellt und dem P. viele Jahre des eigenen Lebens gewidmet hat?

Ich versuche es und schicke voraus, dass ich mich bisher zwar mit Kolonialgeschichte und den Bezügen der Schweiz dazu, jedoch nicht mit postkolonialen Theorien beschäftigt habe.Und so war der Einstieg, die über 50- seitige Einleitung, schon eine Herausforderung, da es immer wieder Bezüge auf andere Bücher und spannende Themen gab.
Nein, nicht abschweifen, beim Thema bleiben und verstehen, wie Purtschert die Argumentationskette aufbaut. P. beginnt mit Erläuterungen von Kolonialität und Moderne, von Europas Rassismus, der als „rassenlos“ benannt wird, weil spätestens seit dem Faschismus der Begriff „Rasse“ nicht mehr verwendet wird, von Geschlecht, Sexualität und Othering, von kulturellen Dimensionen des Rassismus und schliesslich von Schweizer Alltagsrassismus und der kolonialen Unschuld. Die Weichen werden gestellt auf die beiden Schwerpunkte, die später folgen: die Erfindung der Schweizer Hausfrau durch das Othering sowie das Bild des Schweizer Bergführers/ Bergsteigers als Schweizer Helden in kolonialen Abenteuern. 

Es gelingt P. dabei gut, auch mir, die ich keine Vorkenntnisse habe, die Sachverhalte schlüssig zu erklären. Es handelt sich um ein akademisches Werk in akademischer Sprache, die aber gut verständlich wurde, sobald mensch sich ein bisschen „eingelesen“ hatte. Und doch muss ich sagen, dass die Argumentationsketten, die im Moment des Lesens gut verständlich waren, vom Verständnis her an der Oberfläche blieben. Es fällt mir schwer die Inhalte anderen Menschen weiterzugeben.
Dabei stellt sich mir die Frage, ob es eher ein Buch für „Fortgeschrittene“ ist? Für Menschen, die sich den Diskursen um Postkolonialismus schon gewidmet haben und denen es dadurch nicht so dicht erscheint wie mir? Oder hätte ich tiefer eintauchen müssen in die Materie?Ich habe jetzt ein anderes Buch zum Postkolonialismus angefangen  zu lesen und möchte mal schauen, wie es sich ein zweites mal liest, wenn ich mich dem Thema etwas mehr gewidmet habe.

Das Buch ist gut zu lesen, aber keine leichte Lektüre. Es packt eine*n immer wieder, sodass ich oft länger gelesen habe, als ich eigentlich wollte.
Ein einziger Kritikpunkt, den ich habe, sind manche- für mich gefühlte- Spekulationen, die mir die Glaubwürdigkeit allgemein etwas nehmen. Durch Beschreibungen, was Personen auf für die Werbung gebrauchten Photographien wohl gedacht oder wie sie wohl gehandelt haben übersteigt mein Verständnis von akademischer Arbeit, weil es sich, ausser es gibt einen direkten Austausch mit den abgebildeten Personen, um Spekulationen handelt. Sicher ist es gut, andere Sicht- und Denkweisen sichtbar zu machen.
Es fällt mir aber schwer, diese Möglichkeiten in eine akademische Theorie einfliessen zu lassen.Insgesamt ist es ein sehr lesenswertes, tolles Buch, was für mich viel Neues enthielt, viel zum Nachdenken und Austauschen.
Nicht ganz leicht zu lesen, aber das ist gut, mal wieder die Hirnzellen anstrengen 🙂