PODIUM Kolonialismus und Widerstand

„Luzern postkolonial“ und „Lotte Bibliothek“ laden ein zum Podium

KOLONIALISMUS UND WIDERSTAND

mit
Angie Ado, Dr. Manuel Menrath, Ruveni Wijesekera (Moderation) und Dr. des. Claudia Wilopo.

Mehr Infos folgen bald, schon mal den Abend frei halten!

Dienstag 27.06.23 19:30 Uhr im Südpol
Barrierefrei zugänglich

Lotte und Südpol laden ein zum Vorlesetag am 24.05.

Lotte Bibliothek und Südpol laden ein zum Vorlesetag am 24.05.2023 von 15- 18 Uhr für alle Menschen, aber insbesondere für solche von 4-9 Jahren. Es gibt spannende Bücher auf arabisch, deutsch, englisch, georgisch und portugiesisch. Nur wenn es nicht regnet! Infos dazu auf www.lotte-bibliothek.org oder www.sudpol.ch. Wir freuen uns auf euch! Eintritt frei!

Mehr Infos folgen bald!

https://schweizervorlesetag.ch/de/veranstaltungen/public-detail/2036/?rt=map&zoom=12&lat=47.0341978&lng=8.277255199999999&st=0&et=0&sa=1&ea=16&sn=

Rezension Nr. 44

Susan Abulhawa – Against the loveless world

Roman – Bloomsbury – 2020 – ISBN 978-1-5266-1881-8

Das Buch ist auf Englisch in der Lotte verfügbar.

Die letzte Seite ist fertig gelesen, auch die Acknowledgements, das Buch ist durch, und nun? Es sind da diese Gedanken um die Ich- Erzählerin Nahr, um Bilal, um deren Familien und das Land. Es bleibt erst einmal die Ruhe und dann all diese Fragen.

Abulhawa erzählt die Geschichte von Nahr, einer jungen Palästinenserin, die in Kuwait aufwächst, fliehen muss, sich Stück für Stück radikalisiert, nach Palästina zurückkehrt, im Widerstand („oder was Israel Terrorismus nennt“) kämpft und schliesslich in einem Gefängnis in Israel landet, wo sie ihre Erinnerungen aufschreibt.

Dieses literarische Werk ist eine Reise durch das derzeitige und vergangene Leben der Hauptfigur. Im Kern ist es eine Liebesgeschichte, eine Familiengeschichte. Aber es ist viel mehr als das. Es ist der Einblick in eine Welt mit starken, muslimischen Frauenfiguren, Sexarbeit, Flucht, gesellschaftlichen Normen, Freund:innenschaft, Homosexualität, ein Einblick in die Zerrissenheit in einer solch aussichtslosen Situation wie der Israelisch- Palästinensischen. Abulhawa schafft es dabei, die Lesenden in Nahrs Gedankenwelt eintauchen zu lassen, ohne wieder auftauchen zu wollen – ich habe das Buch verschlungen und konnte es kaum weglegen.

Das 11- seitige Glossar zu Beginn des Buches hilft ausserdem, das Verständnis für all die arabischen Begriffe, die im Buch vorkommen, zu vereinfachen.

Und doch bleibt da dieser Zweifel: das Buch ist gespickt von Israelkritik bis hin zu antisemitischen Aussagen eines Charakters im Buch. Wie ist damit umzugehen? Nachdem ich das Buch gelesen hatte, habe ich die Wikipedia Seite zu Susan Abulhawa gelesen. Dort steht, dass sie Gründungsmitglied von BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) sei. (Zur BDS haben wir ein anderes Buch in der Lotte, das genauso tendenziös geschrieben ist, nur von anti-deutscher Sicht her, daher am besten beide Bücher lesen…) Damit fiel es mir einfacher, das Buch einzuordnen.
Und ja, auch wenn das Buch tendenziös geschrieben ist und ein Charakter antisemitische Aussagen macht, so überwiegt bei mir doch die Freude darüber, endlich muslimische Frauenfiguren als handelnde Subjekte und nicht als Objekte zu lesen. Dass Sexarbeit auf eine nicht bevormundende Art und Weise dargestellt wird. Dass Fluchtgeschichte „von Innen“ erzählt wird.

Abulhawa schreibt am Ende, dass das Buch auf eigenen Erfahrungen, Nachforschungen und Erfundenem basiert. Dabei möchte sie einen Raum der Dankbarkeit schaffen, allen „Mädchen (und Jungen) und Frauen, die ihre Körper verkaufen um zu überleben, oder zu entfliehen, oder Dämonen weiterzutragen, die nicht vertrieben werden können.“

„Reads as a riot act against oppression, misogyny, and shame“ schreibt Fatima Bhutto auf dem Buchrücken, dem bleibt nicht viel hinzuzufügen, ausser: unbedingt lesen!

Rezension Nr. 43

supporto legale – Nessun Rimorso Genova 2001-2021

Sachbuch/Comic – Coconino Press- Fandango – 2021 – ISBN 9788876185700

Das Buch ist auf Italienisch in der Lotte ausleihbar.

Das Buch wurde vom supporto legale herausgegeben, einer Art „Roten Hilfe“, die sich 2004 in Genua gegründet hat. Die Idee ist, dass die betroffenen Menschen, die am G8 in Genua 2001 aktiv waren, nicht alleine gelassen werden und sie Unterstützung auf rechtlicher, finanzieller und sozialer Ebene erhalten. Schon 2006 gab es eine erste Edition: „GEvsG8“, ein Comicband, der schon eine erste Aufarbeitung des G8- Gipfels darstellte.

Nun ist nach 15 Jahren die zweite Edition erschienen. Neue Inhalte, neue Texte, neue Zeichnungen, alte Geschichte. Die staatlichen Verbrechen, die in Genua stattfanden, die nicht aufgearbeitet wurden. Menschen, die für eine eingeschlagene Scheibe kriminalisiert wurden (10 Personen mit Gefängnisstrafen von zusammen 100 Jahren), während ein toter Demonstrant als Kollateralschaden angeschaut wird. Die Repression ist nach wie vor dieselbe, beim G8 in Hamburg hat es sich gezeigt, dass sich das System auch nach Genua nicht geändert hat.

Dieses wichtige und wunderschöne Buch erzählt noch einmal gesammelt die Geschichten von Bolzaneto, von der Piazza Alimonda, von der Diaz- Schule und der „Roten Zone“.

Mit den Werken von 37 Künstler:innen (leider fast ausschliesslich Künstlern) ist es ein visuelles Eintauchen in die Welt um Genua, den G8, Menschen, die dabei waren und Geschichten von denen, die nicht dabei waren, und immer wieder der Feuerlöscher. Es hat mich teilweise zu Tränen gerührt und es berührt mich nach wie vor. Man möchte diese unermessliche Ungerechtigkeit rausschreien. Dies macht dieses Buch. Es ist wichtig, diese Erinnerung wach und lebendig zu halten.

Genova non é finita.

Rezension Nr. 42

Kyle Lukoff – When Aidan Became A Brother
Illustriert von Kaylani Juanita

Bilderbuch – Lee & Low Book Inc. – 2019 – ISBN 978-1-62014-837-2

Das Bilderbuch ist in der Lotte nur in der Englischen Version verfügbar.

When Aidan Became A Brother, auf deutsch etwa ‘Als Aidan zum Bruder wurde’, ist die Geschichte von Aidan und seiner Familie.

Als Aidan zur Welt kam, dachten seine Eltern er sei ein Mädchen, gaben ihm einen Mädchennamen, ein Zimmer das wie ein Mädchenzimmer aussah und zogen ihm Kleider an, die andere Mädchen gerne trugen. Aber Aidan ist kein Mädchen. Auch keines der „eigenwilligen“ Mädchen, die auch keine Kleider anzogen und gerne im Dreck spielten. Aidan ist ein Junge, das weiss er genau und zum Glück unterstützen ihn seine Eltern seine Geschlechtsidentität so zu leben wie er es fühlt.

Als Aidans Eltern ein zweites Kind erwarten, nimmt Aidan seine Rolle als zukünftiger grosser Bruder sehr ernst. Er möchte dem jüngeren Geschwister einige der Kämpfe ersparen, die er selber ausfechten musste. Und so lernt er, zwischen der Suche nach geschlechtsneutralen Namen, den richtigen Farben für das Zimmer des Babys und nervigen Leuten die fragen: „Wird es ein Junge oder ein Mädchen?“, dass das Wichtigste ist, ein Kind so zu lieben wie es ist. Und dass das auch sein wichtigster Part als grosser Bruder sein wird.

Ein tolles Buch für Gross und Klein, für werdende Eltern und Geschwister, für solche die es schon sind und auch für die, die ohne Elter zu sein, Freude an schönen Geschichten haben! 

Rezension Nr. 41

Maaza Menigste – The Shadow King
Roman – Canongate books – 2019 – ISBN 978-1-83885-117-0

Sprache: Englisch

Das Buch „The Shadow King“ der äthiopischen Schriftstellerin Maaza Mengiste widmet sich einem der vielen unbeachteten Momente der Geschichte und gibt uns die Möglichkeit unsere eurozentristische Perspektive mittels einer postkolonialen und feministischen Erzählung zu erweitern.

Das Buch spielt 1935 in Äthiopien und setzt sich mit dem Widerstandskampf gegen den italienischen Faschismus und Kolonialismus sowie der Rolle der Frauen darin auseinander. Dabei ist es Maaza Mengiste ein Anliegen sichtbar zu machen, dass und wie der Widerstandskampf von Frauen mitgetragen wurde – Ein Fakt der in der geläufigen historischen Erzählung verschwiegen und unsichtbar gemacht wird.

Dabei bleibt die Erzählung der beiden Protagonist*innen Hirut und Aster nicht eindimensional, sondern verdeutlicht eindrücklich wie diesen kämpfenden Frauen auf vielschichtige Art Gewalt von allen Seiten begegnet. Die Autor*in zeichnet die Frauen als selbst wirksam indem sie sich entschliessen sich aktiv am Widerstand zu beteiligen und setzt damit einen Kontrapunkt nicht nur gegen den patriarchalen Blick der Frauen als passive Objekte, sondern auch entgegen dem kolonialen exotisierenden Blick der afrikanischen Frau als sexualisiertes Objekt.

Auf einer weiteren Ebene zeichnet die Autor*in die Wirkmächtigkeit von Bildern nach, indem sie als weiteren Protagonisten einen jüdischen italienischen Soldaten als Kriegsfotograf in die Geschichte einbindet. Wie die Autor*in beschreibt, dient die Kamera als Waffe – nicht nur durch die Dokumentation von Gewalt und Gräueltaten, sondern vor allem auch dadurch, dass diese entscheiden welche Bilder im kollektiven Gedächtnis bleiben.

Beeindruckend an dem Roman ist die facettenreiche und poetische Sprache der Autor*in, welche sich unglaublich gut mit der inhaltlichen Tiefe des Romans ergänzt und einem beim Lesen auf eine besondere Art in die Story involviert.

Sehr empfehlenswert!

Comic-Lesung ‚abfackeln‘ diesen Freitag (24.3.) im Sentitreff

Diesen Freitag!! (24.3)

Comic-Lesung ‚abfackeln’/’firebugs‘ mit Nino Bulling und Bär Kittelmann
19 Uhr
Sentitreff, Baselstrasse 21, Luzern

Nino Bullings Arbeiten bewegen sich im Grenzbereich zwischen Dokumentarismus und spekulativer Fiktion und erkunden die Möglichkeiten realitätsbasierter Bilderzählung jenseits realistischer Darstellungsweisen. Bär Kittelmann stellt als interdisziplinärer Künstler im eigenen Arbeitsprozess Spass radikal an erste Stelle und ist wenig interessiert an Regeln und Grenzen. Ein spielerischer genreübergreifender Stil spiegelt die Herangehensweise an die gelebten Erfahrungen als Schwarze, queere Trans-Person wider.

Rezension Nr. 40

Amitav Ghosh – The Nutmeg´s Curse – Parables for a Planet in Crisis
Sachbuch – John Murray – 2021 – ISBN 978-1-529-36943-4

Sprache: Englisch

Wie lässt sich so ein dichtes Buch in ein paar Zeilen abkürzen?

All die weltpolitischen Ereignisse der letzten fast 600 Jahre werden benannt und in Zusammenhang gebracht – ausgehend von der Covid Pandemie, Black Lives Matter, der sogenannten Migrationskrise, Militarismus, vor allem aber die Dynamiken der Klimakrise.

Als Ursache für ebendiese sieht Ghosh die jahrhundertealte geopolitische Weltordnung, die durch den westlichen Kolonialismus konstruiert wurde. So zeichnet Ghosh anhand der Muskatnuss eine Parabel für heutige Kriege und die Machtstrukturen der heutigen Welt.

Ghosh argumentiert, dass aufgrund der ab dem 16. Jahrhundert von Europa ausgehenden Mechanisierung der Welt und des Menschen, die allem ihren spirituellen Wert abspricht, um sie ausbeuten zu können, der Kern des Übels liegt. Laut diesem mechanistischen Weltbild existiert die Welt als passiv und ihre Ressourcen seien nur dafür da, vom Menschen ausgebeutet zu werden – unsere heutige „rationale“, aufgeklärte Weltsicht. Die heutigen Machthierarchien und die Ausbeutung der Welt setzt Ghosh in den Zusammenhang der Weltgeschichte und legt für jedes Kapitel ein Schwerpunktthema fest.

„The Nutmeg´s Curse offers a sharp critique of contemporary society and speaks to the profoundly remarkable ways in which human history is shaped by non- human forces.“ So liest es sich im Klappentext.

Und das gelingt Ghosh. Ich habe selten ein so dichtes Buch gelesen. Fussnoten, Bibliographie und Index umfassen 80 Seiten! Anhand der Bibliographie wird den Menschen, die das Buch lesen, die Möglichkeit gegeben, viel tiefer ins Thema einzutauchen. Das ist grossartig und werde ich sicher auch tun. Immer wieder dachte ich: Ja, genau!!! WOW!!! Und einmal sind mir fast die Tränen gekommen – in der Bewusstwerdung, wie sehr wir (europäisch sozialisierten) Menschen hier doch Kinder dieses furchtbaren, ausbeuterischen Weltbildes sind und wie auch ich es verinnerlicht habe, dass die Welt einfach „ist“. Nicht aktiv, nein, Menschen sind ja schliesslich die einzigen, die Sprache und Gefühle haben.

Immer wieder stellt Gosh indigenes Wissen in Kontrast zum westlichen Weltbild. Es ist schön zu lesen, dass er eine grosse Wertschätzung vielen Menschen entgegen bringt, die nicht westlich sozialisiert wurden und die ihr traditionelles Wissen erhalten haben.

Das einzige, was mir am Schluss zu denken gegeben hat: durch die Masse an Zusammenhängen, die gemacht werden, bleibt ein bisschen der Eindruck der Oberflächlichkeit. So werden unglaublich viele spannende Themen wie z.B. die Einhegungen in Europa, die Konterbewegung der Allmende, nur mit 2-3 Sätzen behandelt. Sicher ist es nicht möglich, zu all den erwähnten Bereichen viel mehr zu schreiben, sonst wäre es ein Opus Magnum geworden. Manchmal hätte ich mir nur mehr Hintergrund gewünscht.

Es ist ein Buch, das ich unbedingt empfehlen kann und das bei mir noch lange nachhallt.

Während des Lesens hatte ich stets ein Album im Kopf, für mich der Soundtrack zum Buch:
Kae Tempest „The Book of Traps and Lessons“ – wahnsinnig tolles Album. Würde das Buch verfilmt werden, „Exterminate all the brutes“ von Raoul Peck wäre die Verfilmung eines der Kapitel.

Rezension Nr. 39

Jessica Love – Julian ist eine Meerjungfrau
Bilderbuch – deutschsprachige Ausgabe – Knesebeck – 2020 – ISBN 978-3-95728-364-1

Auf dem Nachhauseweg trifft Julian zusammen mit seiner Oma auf Meerjungfrauen. Julian ist begeistert. Er liebt Meerjungfrauen und wäre am liebsten selber eine. Zuhause setzt er seine Idee in Tat um und wird zur Meerjungfrau, als plötzlich die Oma ins Zimmer kommt… Doch die reagiert ganz cool und macht Julian ein wunderbares Geschenk.

Die Illustrationen im Bilderbuch von Jessica Love sind einfach grossartig. Bunt, verspielt, zauberhaft – ohne albern zu sein. Auch der Plot ist ernst und trotzdem mit einer grossen Leichtigkeit umgesetzt.

Das Buch hat mich echt begeistert. Eine tolle Story über Genderrollen, Selbstvertrauen und Eigenliebe. Auch für Erwachsene sehr zu empfehlen.

24. März 2023 Comic-Lesung ‚firebugs‘ mit Nino Bulling und Bär Kittelmann (Sounds)

Freitag 24. März 2023
19 Uhr
Senti-Treff, Baselstrasse 21, 6003 Luzern

Die Graphic Novel «abfackeln» ist eine Geschichte über trans* Identität und Liebe in Zeiten fundamentaler Veränderung von Lebensräumen durch klimatische und ökologische Einflüsse. Das Buch versucht eine Auseinandersetzung damit, wie der Zusammenbruch unserer Lebensräume durch ökologische Katastrophen und soziale Erosion sich auf die kollektive und individuelle Psyche auswirkt. Zu gleichen Teilen hedonistisch und ergreifend und vor dem Hintergrund des Klimawandels angesiedelt, folgt die Graphic Novel «abfackeln» einem Paar, das sich durch die ambivalenten Erfahrungen von Geschlecht, Intimität, Körper und Verwandtschaft bewegt.

Die Graphic Novel erschien 2022 auf Deutsch bei Edition Moderne und in Englischer Fassung als ‹firebugs› beim Berliner Verlag Colorama.

Nino Bulling arbeitet als Comiczeichner und -autor in
Berlin. Er ist bekannt für politische Comics. Zuletzt erschien „Bruchlinien. Drei Episoden zum NSU“ bei Spector Books.

Bär Kittelmann ist interdisziplinärer Künstler, mit derzeitigem Fokus auf Sound- und Grafik Design, sowie Illustration. Ein spielerischer Genre übergreifender Stil ist Schlüssel zu seiner künstlerischen Praxis. 

Die Veranstaltung ist nicht im Tagespass Fumetto inbegriffen.
Eintritt: Kollekte

Die Lesung findet auf Englisch statt.