Rezension #29

Diane Obomsawin – Ich begehre Frauen – deutschsprachige Ausgabe – Edition Moderne – 2020 – ISBN 978-3-03731-203-2

Der Beschrieb auf der Rückseite des Buches sagt schon fast alles: „Zehn lesbische Frauen erzählen in kurze Episoden über ihr Begehren, ihr Comic-out, das Verliebtsein oder die ersten sexuellen Erfahrungen.“

Diane Obomsawin erzählt diese zehn Geschichten in Comicform. Die Protagonist:innen mit menschlichen Körpern und tierhaften Köpfen waren mir auf Anhieb sympathisch. An manchen Stellen sind die Geschichten lustig, manchmal traurig und meist etwas sprunghaft ohne jedoch unverständlich zu sein. So kamen auch die Enden der Episoden für mich oft unerwartet und abrupt daher, was jedoch dem Charme des Comic keinen Abbruch tat, sondern für mich eher noch verstärkte.

Dazu kommt auch noch der optische Pluspunkt des Hardcover Einbandes mit irisierendem Papier, der das Buch auch von aussen absolut begehrenswert macht!

Ich begehre Frauen ist sehr zu empfehlen. Gute Unterhaltung, ohne seicht zu sein.

LESUNG: Die Würde des Menschen ist abschiebbar

Vortrag/Podium 24.04.2022 – 18:00

Lesung, Buchvorstellung. Mit Sebastian Nitschke

Lina Droste, Oumar Mamabarkindo, Sebastian Nitschke und /Community for all/ sind Autor*innen des gerade bei Edition Assemblage erschienenen Buches „Die Würde des Menschen ist Abschiebbar“. Das Buch vereint politischen Bericht und Wissenschaft. Im Rahmen des politischen Aktivismus der Autor*innen gegen die Abschiebegefängnisse in Büren und Darmstadt entstanden Texte zu Haftbedingungen, Gerichtsakten, Isolationshaft sowie Erfahrungsberichte, Portraits und Gespräche mit Inhaftierten über ihre Ausschusserfahrungen in Deutschland und ihren Herkunftsländern.

Eintrittspreis: Kollekte

Veranstalter*innen

Lotte Bibliothek
HelloWelcome

Rezension #28 brandaktuell

Roman Schürmann – HELVETISCHE JÄGER Dramen und Skandale am Militärhimmel

Rotpunktverlag – 2009 – ISBN 978-3-85869-406-5

Amüsante Lektüre, die Technikgeschichte mit Politik vereint.

Besonders erheitert hat mich, dass das Thema „Schweiz und Kampfflugzeuge“ seit dem Beginn vor über hundert Jahren ein Garant für irgendwelche Mauscheleien und daraus entstehende Skandale zu sein scheint. Angefangen mit der Spendensammlung in der Bevölkerung für die ersten militärischen Fluggeräte über das im zweiten Weltkrieg vom Bundesrat verordnete Flugverbot, weil er es sich mit den Nazis nicht verderben wollte und den Plänen, unbedingt einen schweizerischen Düsenjäger und eine schweizerische Atombombe zu bauen und bis zu den Finanzdebakeln aller Flugzeugbeschaffungen der Armee. Der Plot scheint immer derselbe: Das Militär hat irgendwelche Wunschträume an der Grenze zu Allmachtsfantasien und versucht diese in „Notwendigkeiten“ zu verpacken, um sich den Spass von der Politik und der Bevölkerung finanzieren zu lassen. Auch wenn sich das wie „stets alter Wein in neuen Schläuchen“ liest, berichtet das Buch sehr kurzweilig über die politischen Umstände und technischen Entwicklungen der jeweiligen Zeit und sorgt so für ein umfassendes Verständnis des Geschehens.

Die ersten zwei Kapitel behandeln die Entstehung der Fliegerei im Allgemeinen und wie sie von Militärs für sich entdeckt wurde. Also eher ein technikgeschichtlicher als ein politischer Einstieg, der dem Gang aufs politische Parkett aber den Weg bereitet. Darauf folgt eine Zeitreise durch das vergangene Jahrhundert schweizerischer Militärluftfahrt, die viel über das Land, seine Politik und seine Gesellschaft erzählt. Trotz des militärischen Themas und der damit verbundenen Begriffe verfällt das Buch nicht in einen Militärjargon und bleibt sich seiner kritischen Haltung bis zum Ende treu.

Das Buch ist von 2009, das Thema ist 2022 mit der geplanten Beschaffung neuer Kampfjets für die Schweizer Armee trotzdem topaktuell. Zur Überbrückung der Geschichtslücke von 2009 bis heute finden sich unten die Links zur Artikelserie „Die Kampfjet-Saga“ im Republik Magazin. Die Recherche beleuchtet den Prozess des geplanten Kaufs der F-35 Kampfjets und die Widersprüche und Ungereimtheiten des neuesten Wunschspielzeugs der Schweizer Militärs. Die Serie schreibt damit quasi ein weiteres Kapitel des Buches und zeigt, dass sich die aktuellen Entwicklungen in Sachen „Schweiz und Kampfflugzeuge“ nahtlos an die Flugzeug-Skandale der letzten hundert Jahre anschliessen.

Die Kampfjet-Saga – Von Priscilla Imboden und Alexander Glandien, erschienen im Republik Magazin.

Teil 1

Der geplatzte Deal mit Paris: https://www.republik.ch/2022/01/12/die-kampfjet-saga-folge-1-der-geplatzte-deal-mit-paris

Teil 2

Eine Wahl mit Turbulenzen: https://www.republik.ch/2022/01/13/die-kampfjet-saga-teil-2-eine-wahl-mit-turbulenzen

Teil 3

Getarnte Kosten: https://www.republik.ch/2022/01/14/die-kampfjet-saga-teil-3-getarnte-kosten

Lotte @ Lettera Literaturfest

heute und morgen ist die Lotte auf dem Neubad Vorplatz.
Heute Samstag 12.03. von 10 – 22 Uhr
und morgen Sonntag 13.03. von 10 – 15 Uhr.

Komm vorbei, die Lotte freut sich auf dich!

JUBILÄUMSAUSGABE: 1 Jahr Lotte- Rezensionen :)

Heute haben wir die 27. Rezension für euch.
1 Jahr mit spannenden Büchern und Rezensionen liegen hinter uns. Wir hoffen, wir konnten euch Lust auf das ein oder andere Buch machen.

Für die Jubiläumsausgabe gibt es heute eine ausführlichere Rezension, viel Spass beim Lesen!

Nick Montgomery and carla bergman 
Joyful Militancy. Building Thriving Resistance in Toxic Times

AK Press – 2017 – 9-781849-352888  

Weshalb scheinen oder sind radikale Bewegungen und Orte manchmal so voller Angst, Scham, Furcht, Selbstgerechtigkeit und Konkurrenzkampf?
Wie ist radikales Handeln möglich, ohne in diese Muster zu verfallen? Diese Fragen stellen sich und vielen anderen Montgomery und bergman. Sie nennen das Phänomen „rigid radicalism“ – vielleicht „starrer Radikalismus“. Erstarrte und toxisches Wege wie Menschen sich zu verhalten haben und Verhaltensnormen, die in soziale Bewegungen Einzug gehalten haben – wie der „korrekte“ Weg des Radikalseins aussieht. In Gesprächen mit Aktivist*innen und Intellektuellen aus vielen verschiedenen politischen Bewegungen (vor allem aus den Amerikas) versuchen die Autor*innen herauszufinden, wie sich der „rigid radicalism“ in die Bewegungen schleicht und wie Menschen ihn wieder loswerden können. 

So viel zum Klappentext. 
Interviewpartner*innen sind Silvia Federici, adrienne maree brown, Marina Sitrin, Gustavo Esteva, Leanne Betasamosake Simpson, Walidah Imarisha, Margaret Kolljoy, Glen Coulthard, Richard Day und weitere.  Es ist wichtig, sie zu nennen.

Damit wird schon sichtbar, aus welchen Bereichen Wissen in dieses Buch fliesst. Und so stellt sich gleich die erste Frage:
Wie ist damit umzugehen, dass Wissen, das in grossen Teilen in Schwarzen, PoC und Native Gemeinschaften und Kollektiven erarbeitet wurde, von zwei weissen Autor*innen unter ihrem Namen in einem Buch veröffentlich wird? Hätte es andere Möglichkeiten gegeben, als dass sie mit ihrem Namen dieses Wissen teilen und damit privatisieren? Die Autor*innen nennen alle ihre Gesprächspartner*innen beim Namen und arbeiten sehr transparent. Und doch ist es schwierig, wie diese Sammlung und Aneignung einzuordnen ist. Wäre es eine Möglichkeit gewesen, alle Namen auf dem Cover zu nennen, so wie es bei anderen Sammelbänden der Fall ist? Und damit zu verdeutlichen, woher die Inhalte stammen, die sich im Buch finden? Wie sonst wäre ein sensibler Umgang mit Wissen aus Schwarzen, PoC und Native Communities möglich? 

Zu den Inhalten
Das Buch ist aufgeteilt in ein langes Vorwort von Hari Alluri, zwei weitere Einführungen der Autor*innen, 5 Kapitel, einem Outro und 3 Zusätzen, von denen zwei ausführliche Interviews sind.Die Kapitel sind nach Inhalten sortiert: 

1. als Grundlage „Empire, Militanz und Joy“
2. „Freund*innenschaft, Freiheit, Ethik und Verbindung (Affinity)“
3. „Vertrauen und Verantwortung als gemeinsame Grundgedanken (common notions)“
4. „Stickige Luft, Burnout, Politische Performance“
5. „Rigid Radicalism abbauen, Joy aktivieren“ 

Der Aufbau ist gut gelungen, zunächst wird der Boden geschaffen. Die zugrundeliegende Definition von „Joy“ wird sehr gut erklärt. Joy ist demnach nicht einfach mit „Freude“ oder „Spass“ zu übersetzen. Joy setzt nach Spinoza viel tiefer an. Es entsteht durch die Ent-deckung der eigenen Kapazitäten und ist als Prozess der transformativ, gefährlich, schmerzhaft und mächtig aber auch leicht vergänglich ist zu verstehen. Durch Joy werden Menschen empowert und lebendiger, ihre eigenen Kapazitäten werden gestärkt. Joy zu leben funktioniert jedoch nicht als abgetrenntes Individuum sondern nur indem Menschen sich in enge Beziehungen zu anderen Menschen und zur Welt begeben, Gefühle und gemeinsame Kraft nähren. Während „Freude“ oder „Spass“ als Anästhetikum fungieren, vermag Joy das Gegenteil zu bewirken. Joy kann entstehen, wenn sich eine Gruppe von Menschen gemeinsam Dinge aneignet und jede Person spürt wie ihre Kapazitäten und die ihrer Mitmenschen wachsen. Es wächst, wenn wir uns mit Situationen auseinandersetzen und unser Handeln damit übereinstimmt was in diesem Moment nötig und sinnvoll ist. Joy lebt aus situativen Entscheidungen und Handlungen und wird verhindert sobald es starre Vorgaben gibt, was „richtig“ und was „falsch“ ist.   

Auf dieser Grundlage baut das Buch auf. Und in Verbindung mit Militanz? Militanz wird als Wille zum Kämpfen verstanden. Dies schliesst persönliche innere Kämpfe und Auseinandersetzungen innerhalb der Community ebenso ein wie der Kampf gegen Unterdrückung und das Empire. 
Joyful Militancy soll Kämpfe UND Care beleben, Streitlust UND Zärtlichkeit. Die Dichotomien, die uns „Empire“ gelehrt hat, dass die Welt im Schwarz-Weiss Modus zu betrachten ist, sollen verlernt werden. Graustufen sollen zugelassen und erlernt werden. „Negative“ und „positive“ Erfahrungen und Gefühle können und dürfen nebeneinander Platz haben.Dabei ist es wichtig, dass das Konzept von Militanz als „empowernd“ und belebend kämpferisch verstanden wird. Es sollen keine Selbstaufgabe oder Handlungen stattfinden, die gegen die eigenen Bedürfnisse, Potentiale und Wünsche gehen.
Es ist kein ideologisches Einmaleins oder eine Idee von einer erleuchteten Vorhut (weisser) Männer, die im Gegensatz zu allen anderen Menschen klar sehen. Es kommt aus jedem einzelnen Kampf von Menschen, die sich „Empire“ nicht beugen wollen. Menschen die kämpfen und widerständig sind und dabei in engem Kontakt mit ihren eigenen Fähigkeiten stehen. So zum Beispiel Indigene, die sich konstant weigern, ihre Lebensweise „Empire“ anzupassen.  

„Empire ist der Name für die organisierte Kathastrophe, in der wir heute leben.“ Empire wird im Buch das genannt, was gemeinhin als Staat, Machtstrukturen oder System bezeichnet wird. Dieses Empire durchdringt jedoch unser gesamtes Leben, so auch die Beziehungsformen von Menschen untereinander. Empire eignet sich unsere Beziehungen an und definiert sie nach kapitalistisch- patriarchalen- rassistischen Strukturen um. Unsere Aufgabe ist es, sie sich wieder anzueignen und selbst zu definieren. 

Durch das neue Definieren und Leben solcher Beziehungen im Hier und Jetzt wird ein Gegenstandpunkt zu Empire erschaffen. Es wird die Revolution in der fernen Zukunft nicht geben. Die Revolution findet in diesen veränderten Handlungen, Formen von Beziehungen und Bezugnahme im Hier und Jetzt statt.
Auf welche Weise können Beziehungen gestärkt werden? Wenn eine Starrheit Einzug gehalten hat, wie kann dies verändert werden? Wie ist es möglich mit Unsicherheiten umzugehen? Wie kann „joyful“ experimentiert werden?  

Anhand vieler Beispiele und Zitate widmen sich die Autor*innen diesen und vielen weiteren Fragen. Das Buch lädt sehr oft zum Nachdenken ein. Zum Abgleich mit eigenen Erfahrungen. Erlebe ich die radikalen Räume, in denen ich mich bewege, auch als starr oder sind sie empowernd? Erlebe ich sie als safer spaces für mich, sind sie aber das Gegenteil für andere? Wie einladend und offen sind sie? Wem vertrauen wir? Weshalb? 

Weitere Inhalte sind (weisse) Anspruchshaltung, Privilegien, response- ability- die Fähigkeit wirklich auf eine andere Person zu re- agieren, Care für sich selbst und andere auch in Zeiten von Schmerz, Gewalt und Verletzungen, call out culture- wie mit Kritik umgehen, Vertrauen und viele mehr.  

Das Buch ist keine Anleitung, wie Orte und Beziehungen joyful gemacht werden können. Es ist nicht abgeschlossen und hat auch nicht den Anspruch darauf. Es ist eher eine Werkzeugkiste gepaart mit einem Geschichtenbuch der Erfahrungen. Es gibt den Lesenden Werkzeuge an die Hand, wie bestimmte Muster erkannt werden können, was in bestimmten Situationen Abhilfe geschaffen hat und wie Dinge, Situationen und Beziehungen auch (anders) betrachtet werden können.„I’ve made it a principle not to induldge in speech that is destructive. The notion of stressing potential rather then limits.“

Und immer wieder betonen die Autor*innen wie wichtig es ist, „joyful militancy“ nicht zu einem starren Konzept zu machen oder das Buch als Anleitung „how to …“ zu sehen. Das hätte genau den gegenteiligen Effekt und „militancy“ stünde ganz bald wieder ohne „joyful“ da. Was joyful ist ist fluide. Und so sind es auch Beziehungen. Das macht ein regelmässiges „call in“ nötig. Ein regelmässiges hinhorchen, fühlen. Ist es OK so wie es jetzt ist? Wünsche ich mir etwas anders? Das ist anstrengend. Aber auch sehr befreiend! 

„Joyful militancy“ ist absolut lesenswert, empowernd und dazu geeignet, immer wieder gelesen zu werden. Nur wenn bestimmte Handlungsmuster durchbrochen werden, können wir unsere Beziehungen und unser Sein joyful gestalten. In diesem Sinne ein absolutes „must read“! 

Das Buch ist nur auf Englisch verfügbar.

Rezension Nr. 26

Mariana Ellery – Welche Farbe hat die Liebe?

Illustriert von Clara Reschke
Alibri Verlag – 2021 – ISBN 978-3-86569-334-1
ab 3 Jahre

Anna hat eine Familie: diese besteht aus Eli, Lia, Ed und Betty – vier Menschen zu denen sich Anna eng verbunden fühlt, die sie liebt und mit denen sie gemeinsam durch die Welt geht. Im Buch «Welche Farbe hat die Liebe?» begleiten wir Anna und ihre Familie ein Stück in ihrer nicht-monogamen Beziehungswelt.

Polyamorie ist ein bisher wenig beachtetes Thema in Kinderbüchern obwohl Regenbogenfamilien an und für sich schon länger auf der Agenda diversitätssensibler Kinderbuchverlage stehen.Umso erfreulicher ist es dass in dem Kinderbuch «Welche Farbe hat die Liebe?» das Thema Polyamorie so leichtfüssig und unkompliziert daher kommt. Da ist Anna, ein Kind, dass sich auf den bunten, zuckerfarbenen Seiten des Buches puddelwohl fühlt und eine familiäre Geborgenheit erleben darf in der Anna ganz Kind sein kann.

Dabei wird im Buch thematisiert wie dieses positive Familiengefühl auch beibehalten und erweitert werden kann, als im Verlauf des Buches zwei weitere Menschen zur Familie dazukommen. Dabei schafft es die* Autor*in sehr sensibel darzustellen wie diese Veränderung durchaus Verunsicherung auslöst – was so kindlich und menschlich nachvollziehbar ist und in dem Buch ganz selbstverständlich und nicht problematisiert aufgegriffen wird.

Der inhaltlichen Bearbeitung sehr zugute zu halten ist, dass in dem Buch nicht im Vordergrund steht wer-jetzt-genau-wie-mit-wem-zusammen ist, sondern ein polyamoröses Beziehungsgefüge aus der Perspektive von Anna dargestellt wird und damit die Erlebensweise des Kindes der Fokus des Buches ist. Auf diese Weise schafft es das Buch das Thema Polyamorie als selbstverständlich zu verhandeln, in dem Anna sich fragt, was den eigentlich Liebe ist und wie wir diese begreifen können. Dabei wird im Buch keine überzeichnete Antwort gegeben, sondern ganz kindgerecht eine Ausdrucksform gefunden die Liebe über das Farbspektrum verständlich macht und somit einen für Kinder nachvollziehbaren erleb- und fühlbaren Zugang schafft.

Sehr schön und berührend ist wie im Buch Vertrauen und Verlustängste von Anna thematisiert und aufgegriffen und dadurch zugänglich gemacht werden. Dabei wird deutlich, dass etwaige Ängste nicht nur auf polyamoröse Beziehungen bezogen bleiben, sondern als kindliche Grundthemen ernst genommen werden.

Mit dem Kinderbuch ist es der* Autor*in Mariana Ellery ein Anliegen einen Zugang zur Vielfalt von Liebe und Beziehungen zu geben um ein mehr an Freiheit zu ermöglichen. Das Buch «Welche Farbe hat die Liebe?» entstand dabei vor dem Hintergrund ihrer* eigenen Erfahrungen mit nicht-monogamen Lebensweisen. Die Texte sind in poetischen, leicht verständlichen Versen verfasst und begleiten Anna beschwingt durch die farbenfrohe Bilderwelt.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass das Buch einen sehr schönen kindgerechten Zugang zum Thema Poly-Beziehungen schafft indem vor allem die Gefühls- und Erlebenswelt von Anna als Kind im Mittelpunkt stehen. Somit wird ein Zugang zu dem Thema Polyamorie geschaffen, der weder versucht zu pädagogisieren noch zu fest in der Erwachsenenperspektive verharrt. Und dies ist der grosse Gewinn die dem Buch «Welche Farbe hat die Liebe?» gelingt.

Rezension Nr. 25

Tupoka Ogette
exit RACISM – rassimuskritisch denken lernen 

Unrast – 2017                 

Dieses Buch ist allen weissen Menschen sehr zu empfehlen.
Auch jenen die beim Lesen des Buchtitels denken: “Rassimus gibt es nur bei der SVP und anderen rechten Parteien, was geht das mich an?!”.
Tupoka Ogette, sie bezeichnet sich selbst als Schwarze Deutsche, richtet in dem Buch den Blick vor allem auf Deutschland. Allerdings trifft vieles davon auch für die Schweiz zu.

Die Autorin beschreibt die Entstehungsgeschichte des Rassimus und erklärt die fast unsichtbaren rassistischen Strukturen, mit denen wir aufwachsen und die unser Denken und Handeln bestimmen. Immer wieder ist es erschreckend zu realisieren, wie die gesamte Gesellschaft von strukturellem Rassismus durchzogen ist, sei es das Schulsystem oder der Wohn- oder Arbeitsmarkt. Und nicht nur das, auch alltägliche Blicke, die Frage nach der Herkunft oder “gutgemeinte” Komplimente die Schwarze Menschen und People of Color täglich erfahren, entlarvt die Autorin als rassistisch ansozialisiertes Verhalten.
Sie zeigt auf, wie die Gesellschaft eine weisse Norm kreiert, so dass Weisssein zu etwas “normalem” und die damit einhergehenden Privilegien nahezu unsichtbar werden.  

Das Buch richtet sich primär an weisse Menschen. Es ist workshop-artig aufgebaut. Es gibt in den einzelnen Kapiteln jeweils einen Input-Teil, mit Informationen und Erklärungen zum jeweiligen Thema. Danach kommt ein Interaktiver Teil, mit Links zu Videos zum Thema oder mit Fragen die sich die Lesenden stellen sollen. Und dann gibt es jeweils noch das Logbuch. Darin kommen Menschen die bei der Autorin ein Seminar zum Thema Rassismus besucht haben zu Wort. Die Aufzeichnungen sind sehr persönlich und oft emotional. Sie zeigen gut, was sich bei weissen Menschen abspielen kann, wenn sie sich wirklich mit Rassismus auseinander setzten.  

Es wird sich wohl (fast) jede weisse Person beim Lesen früher oder später in einer der beschriebenen rassistischen Perspektiven wiedererkennen. Ich fühlte mich diesbezüglich jedoch gut aufgehoben, einerseits durch die oben erwähnten Logbücher und auch durch die Autorin, die immer wieder betont, dass es nicht darum geht Menschen zu verurteilen, sondern Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, andern zuzuhören und Fehler einzugestehen. Oder mit den Worten Tupoka Ogettes: „Wir alle können nichts für die Welt, in die wir hineingeboren wurden. Aber jede und jeder kann Verantwortung übernehmen und diese Welt mitgestalten.“ 

Etwas schade ist, das die Links im Buch nur mit QR Code angegeben werden. Im Exemplar in der Lotte stehen nun zusätzlich die Links ausgeschrieben, um diese auch Menschen ohne Smartphone zugänglich zu machen. Oder du kannst die Direktlinks bei uns per Mail anfordern: hallo@lotte-bibliothek.org 

Rezension Nr. 24

Nanni Balestrini
Der Verleger

Verlag Libertäre Assoziation – 1992 – 3 922611 23 0

Die Originalausgabe dieses Romans von Nanni Balestrini erschien 1989 unter dem Titel „L‘editore“, er verarbeitet darin die Geschichte um den Tod von Giangiacomo Feltrinelli. Feltrinelli, Gründer des gleichnamigen Verlages, wurde im März 1972 tot aufgefunden, unter einem Strommast auf einem Feld bei Segrate, am Stadtrand von Mailand. Er starb durch die Explosion einer Bombe, angebracht an eben diesem Strommast. Die genauen Umstände seines Todes wurden nie aufgeklärt.

Und so rankt sich der Roman von Balestrini um Tatsachen und Fiktion, um Medienberichte und erfundene Genoss*innen des Verlegers, wie er Feltrinelli durch die ganze Geschichte hindurch nennt, die jedoch tatsächlich so existiert haben könnten.Es geht jedoch nicht nur um dem mysteriösen Tod dieses reichen Verlegers, der sich zunehmend linksradikalen Ideen zuwendet. Vielmehr gibt das Buch einen Einblick in die 70er Jahre in Italien und vermittelt ein Gefühl der damaligen Zeit. Eine Zeit in der das politische Klima in Italien extrem aufgeheizt war, in der Hunderte militante Aktivist*innen im Gefängnis sassen und in der von Seiten der Linken wie auch der Rechten Bombenanschläge verübt wurden.

„Der Verleger“ ist wie alle Romane von Nanni Balestrini ohne Satzzeichen geschrieben (ausgenommen einiger weniger Fragezeichen). Am Anfang ein bisschen gewöhnungsbedürftig, zog mich dieser Schreibstil nach einer Weile völlig in den Bann und gab der Geschichte einen (wie ich finde) passenden Stil, irgendwo zwischen atemlos vorwärtstreiben und unerwarteten Pausen. 

Rezension Nr. 23

Ronen Steinke
Terror gegen Juden. Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt. Eine Anklage.

berlin Verlag. 2020 (2. Auflage) – ISBN 978-3-8270-1425-2

Der Titel des von Ronen Steinke verfassten Buches gibt ziemlich genau zusammengefasst wider womit sich die*der Autor*in im Buch befasst. Die Allgegenwärtigkeit von Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft, sowie die Ignoranz dessen durch Politik und Justiz. Und vor allem Eines: Jüdisches Leben ist nicht möglich ohne das Gefühl permanenter Bedrohung.
Die*der Autor*in verdeutlicht dies anhand der Lebensrealität jüdischer Menschen und jüdischem Lebens, das geprägt ist von Einschränkungen, Bedrohung, Rückzug und Resignation. Dabei stellt die*der Autor*in dem allzu geläufigen Bild des Opfers, dass Bild von jüdischen Menschen entgegen, die sich mit diesen Gegebenheiten nicht abfinden wollen, sondern diese immer wieder hinterfragen.

Dabei wird im Buch sehr deutlich warum sich jüdische Menschen nicht auf die Unterstützung von Staat und Polizei verlassen wollen und können. Die*der Autor*in verdeutlicht die Rolle von Sicherheitsbehörden und Justiz und zeigt deutlich deren Versagen, wohl wissende Untätigkeit und fahrlässige oder besser bewusst «unterlassene Hilfeleistung».

Zum Teil liest sich das Buch ein wenig polemisch, was ich beim Lesen zumindest beim Thema muslimischer Antisemitismus ein wenig schwierig fand. Nicht das die*der Autor*in dies bedient und muslimischer Antisemitismus als Realität auch benannt sein soll, aber im Kontext von aktuellen antimuslimischen Debatten ist dies eben ein schwieriger Grad. Die*der Autor*in stellt dementsprechend heraus dass es für rassifizierte und marginalisierte Gruppen keinen Normalitätszustand in einer deutschen Mehrheitsgesellschaft geben kann, da dieser vom Staat scheint es auch nicht gewollt ist. Dies lässt sich 1:1 auf die Schweiz übertragen.

Zusammenfassend wird im Buch vor allem Eines deutlich: Terror und Gewalt gegen Juden ist eine Kontinuität. Es gab keinen Zeitpunkt nach 1945 in dem jüdisches Leben in einer Selbstverständlichkeit möglich gewesen wäre wie ein Leben für die Mehrheitsgesellschaft möglich ist. Ronen Steinke schafft dies am eindrücklichsten vor Augen zu führen durch eine 89seitige Chronik, die akribisch Angriffe und Gewalttaten gegen jüdische Menschen und jüdische Einrichtungen von 1945 bis 2020 auflistet.Beim Lesen der Chronik wird das Ausmass der Bedrohung von jüdischem Leben, die die*der Autor*in vorab im Buch herausarbeitet nochmal greifbar und erschreckend deutlich und zeigt somit die gesellschaftlichen Zustände klar und deutlich auf.

Rezension Nr. 22

Angie Thomas – Concrete Rose
Balzer+Bray – 2021 – 978-0-06-305653-4

Das Buch ist dieses Jahr erschienen und gibt es sogar auf deutsch. In der Lotte haben wir die us- amerikanische Originalausgabe. Trotz englischer Sprache im Buch schreibe ich die Rezension auf deutsch.

Concrete Rose- nicht dass ich eine Ahnung hatte, worauf sich der Titel bezieht. OK, wenn ich nur ein bisschen darüber nachgedacht hätte, wäre ich vielleicht selbst drauf gekommen. Aber schon bei der Widmung zu Beginn des Buches wird dieses Geheimnis gelüftet: 

For all the roses growing in concrete. Keep blossoming. (Für all die Rosen, die in Beton wachsen. Erblüht weiter.)

Angie Thomas erzählt die Geschichte des 17- jährigen Maverick, oder Mav, der nicht die einfachsten Bedingungen in seinem Umfeld erlebt, um die Schule abzuschliessen und sein Leben im Griff zu behalten. Eine Schwarze Community, sein Umfeld von Gangs und Gangfights bestimmt, seine Mutter, die zwei Jobs hat um zu überleben, sein Vater, der Gangleader war, seit fast 10 Jahren im Gefängnis, er selbst verkauft Drogen um über die Runden zu kommen und seiner Freundin schöne Geschenke zu machen.
So weit so gut.
Bis er heraus findet, dass er Vater ist. 
Mitreissend erzählt Angie Thomas die Geschichte von Mav, der sich trotz regelmässigen Rückschlägen tapfer schlägt und aus seiner und der Geschichte seiner Familie lernt. Dies klingt nun alles recht platt und klischiert. 
Ich bin jedoch sprachlos wie gut Thomas es schafft, genau diese Klischees zu brechen und Charaktere zu zeichnen, die jenseits von „böser Drogendealer“/ „Opfer der Gesellschaft“/ „Schwarzer jugendlicher Looser“ etc sind.
Es ist vielmehr ein Eintauchen in die Welt eines heranwachsenden Jungen, dem die Welt nicht zu Füssen liegt und der seinen Weg trotzdem sucht und findet. 

Sprachlich ist es insofern eine Herausforderung, dass vieles im Slang geschrieben ist und ich mich erst daran gewöhnen musste. Aber nach einem holprigen Start hat mich die Geschichte nicht mehr losgelassen. Auch wenn ich gerade nicht am lesen war, kam mir immer wieder Mav in den Sinn und wie seine Geschichte wohl weitergeht.
Also ja, ich hab das Buch verschlungen. Und kann es nur weiterempfehlen.