Rezension Nr. 19

Parrella Valeria
Versprechen kann ich nichts

Hanser – 2021 – ISBN 978 3 446 26919 4

Einen Roman, der in einem Jugendgefängnis spielt, gibt es nicht allzu häufig. Der dazu auch noch angepriesen wird, sich auch kritisch mit dem Thema Knast auseinander zu setzen, noch viel seltener. Deshalb war ich schnell überzeugt, das Buch zu lesen. 

Erzählt wird die Geschichte einer Lehrerin, die in einem Jugendgefängnis in Süditalien arbeitet. Dabei bahnt sich eine freundschaftliche Beziehung zu einer jungen Frau an, die zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt worden war. Die Realitäten und Geschichten der beiden Frauen sind dabei wie aus verschiedenen Welten. Dies spiegelt sich nicht nur im Zynismus der Lehrerin im Kontrast zur Offenheit der jungen Frau wider.
Die Annäherung der beiden ist dabei wunderschön erzählt, in einer Sprache, die so zauberhaft ist, dass ich mir während des Lesens vorgenommen habe, extra langsam zu lesen, um etwas länger die nur 136 Seiten geniessen zu können.
Und doch habe ich es an einem Nachmittag gelesen, die letzten 20 Seiten für den nächsten Tag aufgespart- mit grosser Vorfreude.
Es lohnt sich wirklich, dieses Buch langsam zu lesen und Valeria Parellas Sprache Raum zu lassen. Immer wieder schafft sie es wunderbar poetische Sätze zu bilden, ohne dabei kitschig zu werden.

Ein paar kleine Stiche blieben jedoch zurück- so ist der Zynismus der Lehrerin manchmal sehr plakativ und bezieht sich auf gesellschaftliche Klischees in Form von Fatshaming, Rollenbildern, Vorurteilen wer überhaupt in Knästen landet und das Benutzen von antiziganistischen Wörtern, die mir schwer aufgestossen sind. Auch die in der Buchempfehlung beschriebene Knastkritik, fiel für meinen Geschmack eher dünn aus. Trotzdem drückt da immer wieder Kritik am Justizsystem, an Knästen und der kapitalistischen Gesellschaft durch. Die ist zuweilen jedoch sehr subtil, so dass sie von unaufmerksamen Lesenden auch leicht überlesen werden kann.

Also doch nicht zu empfehlen? 
Nach diesen Abzügen bleibt es nach wie vor ein gutes Buch. Es ist wichtig, solche Geschichten zu erzählen, die Teil unserer Gesellschaft sind, aber stets unsichtbar, da hinter Gittern, bleiben. Deshalb: Ja! Unbedingt lesen! Und fehlerfreundlich sein, bei den Dingen, die einer*m aufstossen.

Rezension Nr. 18

Hoi Zäme, heute mal wieder eine Rezension für euch. Leider ein unschönes Thema, aber ein tolles Buch dazu!
Und ein Aufruf.
Justice for Nzoy! Stop Police Brutality and Racial Profiling, Join the Movement, Exit Racism Now!

Es grüsst die Lotte


Alex S. Vitale
The End of Policing

Verso 2018 ISBN 9781784782894 / 9781784782924

Obwohl das Buch auf Englisch erschienen ist, werde ich die Rezension auf Deutsch schreiben. Momentan gibt es noch keine Übersetzung ins Deutsche, das Englisch ist aber gut verständlich.

„Das Problem ist nicht das Polizei Training, Polizei Diversität oder die Methoden. Das Problem ist die dramatische und noch nie dagewesene Expansion und Intensität des „Policing“ der letzten 40 Jahre, ein fundamentaler Wandel der Rolle der Polizei in der Gesellschaft. Das Problem ist „Policing“ an sich.“

Auf dem Cover steht schon beschrieben, womit Alex S. Vitale sich auf 228 Seiten auseinandersetzt. Er gibt dem Thema einen ordentlichen Aufbau, indem er sich einzelnen Teilbereichen des „Policing“ widmet.
Die Kapitel sind dabei logisch und immer gleich aufgebaut: Zunächst eine Bestandesaufnahme, oft mit historischem Hintergrund. Darauf folgend die (staatlichen) Reformen. Zuletzt geht er auf Alternativen ein.  So behandelt Vitale Themenbereiche wie Sex Work, Obdachlosigkeit, Gangs, Polizei in Schulen, Nationalgrenzen und einige mehr. Er schafft es gut verständlich sich mit der Kritik des derzeitigen Systems auseinander zu setzen und mögliche Alternativen aufzuzeigen.
Die Schwierigkeit ist stets, wie sehr taucht mensch in ein Thema ein, dass es nicht oberflächlich wird aber auch nicht auf 1000 Seiten endet.
Vitale hat diese Gratwanderung sehr gut geschafft. Wer tiefer ins Thema eintauchen möchte kann sich den 30 Seiten Fussnoten und weiteren Literaturempfehlungen widmen.

Vitale lebt in den USA und so liegt der Schwerpunkt des Buches und der Auseinandersetzung auch dort. Hin und wieder tauchen Vergleiche aus anderen Teilen der Welt auf.
Einige Kritikpunkte sind auch ausserhalb der USA anwendbar, andere wiederum nicht. So stellt sich mir die Frage, ob es hier nicht schlauer ist, das Buch „Kritik der Polizei“, herausgegeben von Daniel Loick, zu lesen. Es ist zwar aus Deutschland, damit aber unserem Kulturkreis näher. Oder eben beide.

Das Buch ist ein sehr guter Einstieg um sich mit dem Thema Polizeikritik auseinanderzusetzen. Es lässt sich gut und schnell lesen und bringt dramatische Informationen ans Licht. Also ja, unbedingt lesen und weitererzählen. 

Leider aus aktuellem Anlass:   
27.11.21 Demo in Zürich: Justice for Nzoy! Stop Police Brutality and Racial Profiling, Join the Movement, Exit Racism Now!     

Am 30. August 2021 wurde am Bahnhof von Morges (VD) unser Bruder, Sohn, Cousin, unser geliebter Freund Nzoy durch drei Schüsse aus einer Polizeiwaffe aus dem Leben gerissen. Dieser Todesfall ist ein weiterer in einer ganzen Reihe von Morden aufgrund von menschenverachtender, rassistischer Polizeigewalt.    
 
Dreimal schoss der Polizist auf ihn, den dritten Schuss gab er ab, als Nzoy taumelnd auf dem Perron zu Boden ging. Nach den Schüssen fesselten ihn die Polizisten mit Handschellen, leerten seine Taschen, liessen ihn liegen. Erste Hilfeleistung leistete ein zufällig vorbeilaufender Krankenpfleger.  Die Lügen der beteiligten Polizisten konnten nur aufgedeckt werden durch einen Passanten der die Hinrichtung filmte.   

Wir fordern:  

•   Eine lückenlose Aufklärung dieses Falles, von einer unabhängigen Instanz.  

•   Eine Berichterstattung, die strukturellen Rassismus aufdeckt und nicht verschleiert.  

•   Wir fordern eine schweizweite unabhängige Instanz mit weitgehenden Befugnissen, die   Fälle von Polizei- und Behördengewalt und strukturellem Rassismus aufarbeiten und   Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen kann.  

•   Dass Schwarze Menschen, People of Color und auch Menschen mit psychischen   Erkrankungen in der Schweiz bedingungslos überall und auch vor der Polizei sicher und   geschützt sind.  

•   Wir fordern alle notwendigen Massnahmen für ein Ende von Rassismus in der Schweiz.

#justic4nzoy #justicefornzoy #stoppolicebrutality #stopracialprofiling #gegengewalt #rassismusinderschweiz #exitracism #exiracismnow #stopptrassismus #gägerasissmus #contreracisme #stopracisme #blacklivesmatter #blacklivesmatterswitzerland #mirsindallihutfarbe #zurich #basel #bern #sanktgallen #lausanne #morges #geneve #neuchatel #schaffhausen #sosblackforce #wirsindmehr #onelove #againstracism #wefightback #notonemore

Es ist einiges los!

Zum Vormerken:

Lotte Winterkino am 14.+ 15. 11.21, 12. + 13.12.21, und 09.+ 10.01.22
jeweils im Rossstall, Unterlachenstrasse 33. LU, 19 Uhr

Buchpräsentation
Kleinstadtrebellion – von Aarau aus die Welt verändern
19.11.21 – 20 Uhr – Verein Drucki, Steinenstrasse 17, LU

Buchpräsentation
Für einen Umweltschutz der 99% – Milo Probst
03.12.21 – 19 Uhr – Luzern

Rezension Nr. 17

Fang Fang
Weiches Begräbnis

Hoffmann und Campe, 2021, ISBN 978-3-455-01103-6

Eine Geschichte vom individuellen und kollektiven Vergessen – so könnte mensch Fang Fangs Roman „Weiches Begräbnis“ kurz zusammenfassen.
Doch um welches Vergessen geht es hier?
Die*r Autor*in widmet sich in dem Roman einem Kapitel der chinesischen Geschichte, welches aktiv aus dem kollektiven Gedächtnis verdrängt wurde und wird – der sogenannten „Bodenreform“ von 1949-1952. Dies in Romanform darzustellen schafft Fang Fang sehr eindrücklich anhand der Geschichte einer älteren Frau, die scheinbar aus dem Nichts ins Wachkoma fällt. Dabei versucht der Sohn zu verstehen wieso seine Mutter kurz vorher Dinge äusserte, die ihr als bildungsferne Hausangestellte überhaupt nicht zugänglich sein konnten. Der Plot ist gelegt und Fang Fang zieht eine*n in den Sog des Romans auf der Suche der zwei Protagonist*innen um die verschüttete Existenz, so dass mensch das Buch schwer wieder weglegen kann.

Im Roman erklimmt die Mutter im Zustand des Wachkomas Stück für Stück ihre zeitlebens verdrängte Geschichte und gibt uns – den Leser*innen – einen Einblick in die Vorgänge der chinesischen Bodenreform, die mit äusserster Brutalität durchgesetzt wurde und traumatische Folgen für viele der Überlebenden und Verfolgten hatte und hat. Parallel entwickelt sich der Handlungsstrang des Sohnes auf der Suche nach der Geschichte seiner Mutter, die ihn zu verschütteten Stätten der Bodenreform in der chinesischen Provinz führt und dabei auch zu der Frage wieso Vergessen eine durchaus nachvollziehbare Wahl sein kann.

Die Bedeutung des kollektiven Verdrängungsprozesses und der politischen Brisanz des Romanes wird anhand dessen deutlich, dass der Roman mittlerweile in China nicht mehr erhältlich ist. Wenn auch nicht verboten, so ist er doch als unliebsame Literatur aus den Bücherregalen verdrängt worden. Damit das Vergessen weitergehen kann…

Rezension Nr. 16

NSU-Watch: Aufklären und einmischen –
Der NSU-Komplex und der Münchener Prozess

2020 – Verbrecher Verlag – ISBN: 9783957324221

Als 2011 die Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozia­listischen Untergrunds« NSU aufflog wurde vielen wieder schmerzlich bewusst wie bedrohlich und gefährlich Rechter Terror für alle Menschen ist, die nicht in das rassistische und nationalsozialistische Weltbild der Nazis passen. Die Bilanz des NSU: 10 Morde, 3 Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle in den Jahren 1998 bis 2011.

Die Taten des NSU zeigen deutlich auf, wie wirksam Rechter Terror agiert und wie blind Medien und Gesellschaft, sowie auch eine vermeintlich aufgeklärte Linke, sein kann. Denn es bedurfte erst der Selbstenttarnung des NSU bevor die Morde und Anschläge überhaupt als Rechter Terror identifiziert wurden. Diese Haltung der Ignoranz spiegelt sich auch über den gesamten Prozess im Verhalten des Gerichts, im Auftreten der Bundesanwaltschaft sowie in der (Nicht-)Berichterstattung der Medien wider. Dabei wird die These der Einzeltäter vehement verteidigt und die Rolle der Behörden, vor allem des Verfassungsschutzes, nicht aufgearbeitet.
Um dem etwas entgegenzusetzen formierte sich das Bündnis »NSU-Watch« aus zahlreichen antifaschistischen und antirassistischen Gruppen und Einzelpersonen, die zum Themenkomplex NSU recherchieren und aufklären. Kernpunkt von »NSU-Watch« bildet dabei die Begleitung und umfangreiche Berichterstattung zum NSU-Prozess am Oberlandesgericht 2013-2018 in München sowie der einzelnen Untersuchungssauschüsse.

Nun hat das Autor*innenkollektiv von NSU-Watch in ihrem Buch „Aufklären und Einmischen“ ein erstes Resümee des NSU-Prozesses gezogen. Das Buch gibt einen gut lesbaren und umfassenden Überblick über das Prozessgeschehen.
Das Buch arbeitet sehr gut die nicht gelingende juristische Aufarbeitung heraus und verdeutlicht, wie die Forderungen der Betroffenen und Nebenkläger*innen nach umfassender Aufklärung nicht gehört wurden. Das Ausblenden der Verfassungsschutzbehörden im Verfahren und die Verurteilung der mitangeklagten Nazis zu lächerlichen Strafen zeigt dabei nicht nur die Blindheit des Gerichtes auf, sondern verdeutlicht auch ganz klar welche Positionen gesellschaftlich gewollt und vertretbar sind.
Deswegen sei dieses Buch allen engagierten Antifaschist*innen und Antirassist*innen ans Herz gelegt.

Kein Schlussstrich!

Als Ergänzung ist der Podcast Saal 101: Das Dokumentarhörspiel zum NSU-PROZESS sehr zu empfehlen.

Rezension Nr. 15

Hengameh Yaghoobifarah – Ministerium der Träume
Blumenbar – 2021 – ISBN 978-3-351-05087-0

Ein fulminanter Roman. Nach dem ersten Viertel hat es mich so reingezogen, dass ich einen ganzen Sonntag lesend auf dem Sofa verbrachte, bis das Buch (leider..) zu Ende war.
Hengameh Yaghoobifarah ist ein sehr spannender, gesellschaftskritischer, zwischendurch sehr trauriger und trotzdem Mut machender Roman gelungen. Nas, die als Türsteher*in in einer queeren Bar in Berlin arbeitet, verliert ihre* Schwester Nushin und kümmert sich fortan um deren pubertäre Tocher. Nas Mutter sitzt ihr im Nacken, da diese den unkonventionellen Lebensstil von Nas nicht goutiert. Mit den Mitarbeitenden in der Bar gibt es Stress, da Nas durch die Trauer über Nushin und durch die neue Lebenssituation mir ihrer Nichte, bei der Arbeit austickt. Und zusätzlich schwebt über Nas der unglaublich schmerzhafte Verlust ihrer Schwester und der quälende Verdacht, dass Nushins Tod von ihr selbst gewählt war.
Ministerium der Träume ist ein Roman über Wahl- und Zwangsfamilie, über den Zusammenhalt zwischen Geschwistern und zwischen Freund*innen, über Trauma, über Liebe, über das Aufwachsen in einer rassistischen Gesellschaft und über das Leben ausserhalb der Mehrheitsgesellschaft.

Nächste Lesung! Di 21.09.2021 im Neubad

Warst du schon mal bei einer Comic- Lesung? Nein? Du hast auch keine Ahnung, wie das gehen soll?
Perfekt! Kommenden Dienstag hast du die Chance, diese Lücke zu schliessen!
(und wenn „JA“, dann weisst du ja wie der Hase läuft und freust dich schon lange auf diesen Abend, oder nicht?)

Lina Ehrentraut kommt nach Luzern und stellt ihr Comic- „Melek+Ich“ im Neubad vor.

Dienstag 21.09.2021 um 19 Uhr im Neubad Klub

Wir freuen uns auf dich!
Es grüsst die Lotte

***

Nici ist Wissenschaftlerin und betrinkt sich gern in der Bar nebenan. Heimlich baut sie Melek, einen Körper, mit dem sie in parallele Dimensionen reisen kann. In einer dieser Dimensionen begegnet sie in Meleks Körper Nici — also sich selbst — und geht mit ihr eine Beziehung ein.
Lina Ehrentraut entführt in ihrem Début in einer Mischung aus Romanze, Sci-Fi und Charakterdrama in eine Parallelwelt, in der alles sorglos möglich scheint: Doppelidentitäten, queere Beziehungen und Selbstliebe. Doch für wie lange?
Gekonnt leitet Lina Ehrentraut in schwarz-weissen Comicsequenzen und atmosphärischen bunten Malereien durch die unterschiedlichen Erzählebenen.
Zum Genre Comic Lesung sagt sie: „Das macht total Spass, das ist irgendwie wie einen Film live schauen!“

«Das Début von Lina Ehrentraut haut mich um. Das Buch trifft den Zeitgeist und entspringt gleichzeitig scheinbar leichthändig Ehrentrauts Kosmos. Die Zeichnungen sind mal in klare grafische Formen gefasst, dann wieder beherrscht eine explosive Verspieltheit die Szene. Farbenpracht trifft auf schwarze Linien, Abstraktion auf Betroffenheit, Erzähldrang auf offene Einladungen, Analyse auf Science Fiction und Erfahrung auf erfrischende Unbefangenheit. Beim Lesen überkommt mich das Gefühl, zwei gegensätzliche Pole würden sowohl an der Figur als auch an der Autorin zerren. Von einer ebenso feinen wie starken jungen Künstlerin wird uns vor Augen geführt, wie überzeugend der Comic die metaphysischen Ebenen des eigenen Ichs zu visualisieren vermag.» (Lika Nüssli)

Nur mit Covid- Zertifikat

Rezension Nr. 14

Inna Barinberg; Mehr ist Mehr – Meine Erfahrungen mit Polyamorie
edition assemblage – 2020 – ISBN 978-3-96042-089-7 

Soeben fertig gelesen, vorgestern angefangen und verschlungen. Das Buch von Inna ist ein wunderbar einfach zu lesender Einstieg in das Thema Polyamorie. Dabei beleuchtet Inna als non- binäre, queere Person unterschiedliche Aspekte der Polyamorie wie Abmachungen, Eifersucht, Kind, mental health und viele andere. Durch die knapp 140 Seiten bin ich förmlich geflogen.

Es liest sich flüssig und ist ein schöner Einblick in ein Phänomen, das auch in linken Kreisen wenig praktisch gelebt wird. Es ist empowernd zu lesen, dass es bei anderen Menschen gut funktioniert und dabei Erfahrungen vermittelt zu bekommen, was in deren Fall gut und was weniger gut funktioniert hat. Das heisst nicht, dass es bei einer*m selbst dann auch so klappt. Aber es ist schon einmal ein Anhaltspunkt und eine Idee, was möglich sein könnte. Am Ende muss jede*r für sich selbst entscheiden, was sich richtig anfühlt und was die Ansprüche an das eigene Beziehungsmodell sind. 

Für mich als Person, die seit Jahren offene Beziehungsmodelle praktiziert, darin aber ein Shift stattfindet, war es eine grosse Hilfe, andere Möglichkeiten zu denken. Die eigenen Erfahrungen wiederzufinden und Wege aufgezeigt zu bekommen, wie mensch mit bestimmten Schwierigkeiten umgehen kann. Und doch denke ich, dass das Buch wohl auch gut ist für Menschen, die ein monogames Beziehungsmodell leben, sich einfach weiterbilden wollen oder an einer Veränderung interessiert sind.

Inna beantwortet die Fragen, die zunächst auftauchen- wie geht es organisatorisch, wie kann ich mit meiner Eifersucht umgehen und was ist der Unterschied zwischen einer offenen Beziehung und polyamourösen Beziehungen?
Es bleibt ein Erfahrungsbericht und recht an der Oberfläche, sonst hätte es nicht auf die 140 Seiten gepasst. Es ist jedoch ein wunderbarer Einblick in eine diverse Realität, der Spass und Lust macht, sich damit auseinanderzusetzen.
Danke Inna für dieses Buch, es hat mir gerade sehr geholfen meine derzeitige Situation mit ein bisschen Ruhe und weniger Aufregung zu betrachten. Möge es auch anderen zu einer passenderen Beziehungsform helfen. Viel Spass beim Lesen!

***

Zuerst dachte ich, ok, wieder mal ein Buch über Polyamorie. Wahrscheinlich will mir di*er Autor*in wieder mal weis machen, dass es gar nicht schwierig ist. Dass die Eifersucht unnötig ist und überwunden werden muss. Wahrscheinlich wieder mal ein Buch das beschreibt, wie einfach es ist, durch Polyamorie zum persönlichen „and they lived happily ever after“ zu finden.

Doch Inna Barinbergs Buch „Mehr ist Mehr“ ist anders. Zuerst ein bisschen oberflächlich, erzählt Inna in späteren Kapiteln sehr offen und ehrlich von Innas eigenen Erfahrungen mit Polyamorie. Davon, dass es manchmal unglaublich schwierig ist. Und schmerzt. Und die Eifersucht einem manchmal auch nach Jahren noch umhauen kann. Und dass es trotzdem wunderschön und bereichernd sein kann, mehrere Menschen gleichzeitig zu begehren und/oder zu lieben.

„Mehr ist mehr“ ist mit knapp 140 Seiten kein dicker Wälzer und ist durch den persönlichen Erzählstil Innas einfach zu lesen. In den verschiedenen Kapitel beleuchtet das Buch unter anderem die Themen Kommunikation, Zeitmanagement, Eifersucht, Kinder bekommen im Polykül und psychische Gesundheit. „Mehr ist mehr“ gibt Einblicke in ein Polykül, ohne den Anspruch zu haben, die allgemeine Wahrheit über Polyamorie zu vermitteln. Ein sehr lesenswertes Buch, sowohl für Menschen mit und ohne Polyamorie Erfahrung.

Mir hat das Buch sehr gut getan. Vor allem die undogmatische Art Innas und die Ehrlichkeit auch über eigene Schwierigkeiten zu schreiben, habe ich sehr geschätzt. Ich empfand ich es als sehr positives Buch, das auch Mut macht, immer wieder in Auseinandersetzung zu gehen (auch und vor allem mit sich selbst). 

Rezension Nr. 13

hafsa zayyan – we are all birds of uganda
#Merky Books – 2021 – ISBN 978 1 529 11865 0

Das Buch ist gerade auf English erschienen und auch in dieser Sprache in der Lotte erhältlich. Ich schreibe die Rezension trotzdem auf Deutsch.

In diesem Debutroman von hafsa zayyan begleiten wir zwei Generationen einer Familie durch turbulente Zeiten. Der Roman ist in unterschiedlichen Dekaden und auf verschiedenen Kontinenten zuhause – und springt, mithilfe von verschiedenen Erzählformen, zwischen diesen Realitäten.
Erzählt wird die Geschichte der Familie Saeed mit den Schwerpunkten bei Hasan und seinem Enkel Sameer. Im Laufe des Buches wird mehr und mehr verständlich, wie diese beiden Geschichten zusammenhängen und was die beiden, ausser ihrer Familienbande, verbindet. Und was sie doch auch trennt.
Der Roman nimmt eine*n recht schnell in Bann und es fiel mir schon kurz nach Beginn des Lesens schwer, das Buch zur Seite zu legen. Wenn Romanfiguren mich in meinem reellen Leben begleiten und ich mir Gedanken mache, was wohl als nächstes passiert, dann hat es mich gepackt. Dies war auch bei diesem Roman der Fall. Dabei handelt es sich gar nicht um eine besonders actionreiche Geschichte, nein, es ist die Tiefe der Geschichte, die mich hineingezogen hat.
Der Roman behandelt einen Teil der Weltgeschichte, von dem ich noch nie gehört hatte: von „Asian Africans“ in Uganda, die während der Kolonialzeit von Indien nach Uganda ausgewandert waren. Im Rahmen der Befreiungskämpfe vom Kolonialismus kam es in den frühen 1970er Jahren zu regelrechten Säuberungen der „Asians“ in Uganda, obwohl diese schon mehrere Generationen dort gelebt hatten. Viele von ihnen wurden staatenlos oder mussten z.B. nach Britannien fliehen, wenn sie noch einen Pass von dort hatten. Erst in den späten 1980er Jahren gab es einen Wandel in der Politik, als wieder vermehrt „Asian Africans“ angeworben wurden, in ihre alte Heimat zurückzukehren. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Romans und der Geschichte ist der Rassismus gegen die Schwarze Bevölkerung in Uganda aus der Community der „Asians Africans“.
Das Buch gibt einen guten Einblick in diesen Teil der Weltgeschichte und empfiehlt auf mehreren Seiten am Ende weitere Literatur zum Thema.
hafsa zayyan schafft es, einen schweren und schwierigen Teil der Menschheitsgeschichte in einen wirklich unterhaltsamen und lehrreichen Roman zu packen. Dazu ist es auch einfach ein sehr schönes Buch mit einer zauberhaften Haptik 😉
Absolut empfehlenswert!